Familie, Tagebuch
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Wie ich zum ersten Mal ein bisschen schwanger wurde

Um sechs Uhr wache ich auf. Viel zu früh. Ich muss noch drei Stunden rumkriegen, bis wir losfahren können. Noch mehr als vier Stunden bis zum Termin.
Ich bin wahnsinnig nervös. Nervöser als vor dem Staatsexamen oder vor meiner Hochzeit. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch zu toppen wäre.
Dabei waren doch die letzten Tage schon schwer genug.
Ich gehe ins Bad, ziehe mich an und mache mir Frühstück. Selbstverständlich ein Granatapfel-Müsli, weil das ja gut für die Gebärmutterschleimhaut sein soll. Das Handy lasse ich dabei nicht aus den Augen.
Schon seit 48 Stunden habe ich nichts mehr aus dem Labor gehört. Keine Nachricht ist ja eigentlich eine gute Nachricht? Ich habe wahnsinnige Angst, dass das Telefon doch noch schellt und mir mitgeteilt wird, dass wir gleich nicht mehr kommen müssen. Weil sich keine der Zellen weiterentwickelt hat.
Ich schaue auf die Uhr. Es sind nur zwei Minuten seit dem letzten Blick vergangen. Die Zeit schleicht. Selbst im Internet, wo sie sonst immer verfliegt, geht sie nicht schneller. Ich fange an die Bügelwäsche der letzten drei Wochen abzuarbeiten. Auch das ist komischerweise in ein paar Minuten erledigt. Das Telefon bleibt stumm.
Ich beginne die Wohnung weihnachtlich zu dekorieren. Irgendwann ist es dann Zeit, sich langsam fertig zu machen. Als ich meine Tasche packe, vibriert mein Telefon. Ich zucke zusammen. Mein Herz fängt an zu klopfen. Ich habe das Gefühl, die nächsten Sekunden würden sich in Zeitlupe abspielen. Auf dem Display steht „Mann“. Bor. Er will mir sagen, dass er in fünf Minuten da ist. Mein Herzschlag beruhigt sich langsam wieder.
Im Auto halte ich das Telefon weiter umklammert. Jetzt werden sie doch nicht etwa noch anrufen?
Bezüglich der Hyperstimulation habe ich eigentlich ein gutes Gefühl. Zwar zwackt es noch im Unterleib, aber ich habe fleißig getrunken, mich geschont und mein Gewicht ist stabil geblieben.
Das fleißige Trinken führt dazu, dass ich schon auf dem Weg vom Parkplatz zur Klinik wahnsinnig dringend auf Toilette muss. Aber ich brauche ja die volle Blase. Weil, so wie es ausschaut, klappt doch alles!
In der Klinik werde ich sofort in die entsprechende Abteilung geschickt. Hier ist zunächst alles leer und ruhig. Vielleicht scheitert es nun auch einfach daran, dass sie mich vergessen? Trotzdem bin ich nun etwas ruhiger, weil wir nun ganz nah bei unseren Zellen sind. Irgendwie kommt langsam bei mir an, dass zumindest heute nicht mehr so viel schief gehen kann. Nach fünf Minuten, die Zeit vergeht wieder normal, werde ich von einer Arzthelferin abgeholt. Wir unterhalten uns ein bisschen. Ich erzähle von meiner Nervosität. Sie kennt diese Nervenbündel sicherlich nur zu gut. „Wenn sie einmal hier auf dem Stuhl sitzen, heißt das, dass sie noch leben!“, werde ich von ihr beruhigt. Ich nehme war, dass der Chef höchst persönlich im Labor nebenan an einem Mikroskop rumschraubt. Irgendwie bin ich etwas enttäuscht, dass der entscheidende Moment nicht von meinem behandelnden Arzt vollzogen wird. Allerdings ist es ja auch nicht schlecht, den Chef mal kennen zu lernen. Täglich Frauen schwängern und die harte Vorarbeit den Angestellten überlassen. Was ein Arbeitstag, denke ich noch.
Dann kommt er und erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden. „Sie schaffen es täglich vier Liter zu trinken?“, MTA und Arzt sind beide überrascht. Mehr oder weniger überraschend unauffällig stellen sich meine Eierstöcke dar. Also sie sind vergrößert, aber generell sieht der Bauch nicht nach Überstimulation aus. Hab ich gut gemacht.
„Aber es wird wiederkommen sobald das HCG steigt“, sagt der Fachexperte. Also wird von Seiten der Klinik gar nicht gezweifelt, dass dieser Versuch irgendwie noch scheitert?!
Ich lasse das einfach mal so stehen. Optimismus kann nicht schaden.
Meine Zellen wären absolut in Ordnung. Alles würde sehr gut aussehen. Ich bin in einer Art Wattewolke. Ich traue mich nicht nach Fotos oder Qualität zu fragen. Das tut nun sowieso nichts mehr zur Sache. Ich will es einfach nur noch hinter mich bringen.
Mit wenigen Handgriffen bereitet der Arzt alles vor, dann huscht die Laborantin in den Raum, in der behandschuhten Hand ein Katheter. Ich muss nochmal meinen vollen Namen sagen, dann übergibt sie ihn. 30 Sekunden später bin ich schwanger. Vorerst.
Sie bekommt den Katheter zurück und kontrolliert, ob die Zellen auch nicht im Schlauch hängen geblieben sind. In der Zeit darf ich mich wieder aufrichten und wir bereden noch kurz die kommenden Schritte.
Dann werde ich mit einem Bericht verabschiedet. Ich gehe zurück zu meinem Mann und drücke ihm den Zettel in die Hand. Er möchte alles lesen, ich animiere ihn aber zum gehen. So schnell wie möglich möchte ich nach Hause. Liegen und eine Komödie schauen. Obwohl ersteres ja wohl keinen erwiesenen Vorteil bringt. Aber mir ist einfach danach.
Als wir im Auto sitzen und das Radio angeht, ertönt das Intro von Franky Goes To Hollywoods „Power of Love“. Also es läuft nicht einfach, es startet genau in dem Moment, in dem mein Mann den Wagen startet. Mir schießen Tränen in die Augen. Das ist mein Lieblingsweihnachtslied. Es handelt von Liebe und Schutz und ja auch irgendwie von dieser einen, außergewöhnlichen Geburt. Das ist ein Zeichen. Dass nun alles gut wird. Oder werden könnte. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alles gut wird eigentlich höher ist als andersherum. Aber daran verbiete ich mir an diesem späten Vormittag zu denken. So weit wie heute waren wir noch nie.

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